20. Juni 2024
Weil einfach einfach alle erreicht! Ein Beitrag aus dem Projekt „Mit-Sprache für alle“
„Worte können Fenster sein oder Mauern.“ Dieser wundervolle Satz stammt von Marshall B. Rosenberg, dem Begründer der gewaltfreien Kommunikation. Er macht damit deutlich, dass unsere Sprache, egal ob wir es wollen oder nicht, immer einen Adressatenkreis besitzt. Derer, die verstehen, was wir sagen und jenen, die wir mit dem Gebrauch bestimmter Begriffe und durch unsere Art und Weise wie wir es sagen ausschließen.
Vor mehr als 500 Jahren hat die Übersetzung der Bibel ins Deutsche eine weitreichende gesellschaftliche Veränderung bewirkt. Auch wenn zu diesem Zeitpunkt nicht alle Menschen lesen konnten, wurde ein Text für die Allgemeinheit übersetzt. Somit hatten viele Teile der Bevölkerung es einfacher, die Worte Gottes selbst zu lesen oder auch sich vorlesen zu lassen. Ein gutes Beispiel für ein beginnendes emanzipatorisches Aufbegehren und die Aneignung der Welt, die durch Sprache und Schriftsprache möglich ist. Seit Martin Luthers Übersetzung hat sich die Sprache verändert, aber auch, wie wir mit Hindernissen und Problemen umgehen und in welche Ohnmacht wir uns fallen lassen wollen.
Warum tun wir uns als Erwachsene oft so schwer, Sachverhalte auf eine einfache und unkomplizierte Art und Weise zu vermitteln? Ist uns ein naiver Sprachgebrauch abhandengekommen? Was machen Kinder im Gegensatz zu Erwachsenen anders? Sie stellen Fragen! Sie fordern sich damit Antworten ein, die sie verstehen! Kinder denken häufig nicht darüber nach, welche Worte sie benutzen; ihre Sprache ist intuitiv. Nachfragen, wenn sie etwas nicht verstanden haben. Kinder scheuen sich nicht zu sprechen oder Begriffe zu verwenden, deren Bedeutung sie nicht kennen oder die sie womöglich falsch aussprechen. Warum Erwachsene das in aller Regel nicht machen? Weil die antizipierte Reaktion ihres Gegenübers bei ihnen Scham auslöst! Tragisch denken die einen. Gut für meinen Status, denken die anderen. Wir entmachten uns selbst, wenn wir aufhören zu fragen! Denn Sprache ist Macht. Macht bedeutet, Privilegien zu besitzen. Mit Macht und Privilegien gehen Gestaltungsmöglichkeiten einher, die durch eine klassistische Perspektive in unserer Gesellschaft ungleich verteilt sind. Sprache behindert oder beschleunigt einen Aufstieg in akademischen Milieus.
Sprache bildet einmal mehr die Zustände der Gesellschaft ab. Sie zeigt uns, wie tief Ungleichheiten verwurzelt sind und wie wir diese durch unsere Ausdrucksweise verfestigen: Du bist, was du sprichst, in Gedanken an ein Kiezdeutsch und kulturelle Einflüsse aus dem Pop. Aber genauso gilt: Durch Sprache haben wir die Möglichkeit, soziale Unterschiede zu egalisieren.
Sollen politische Ideen und Agitation von einer breiten Masse verstanden werden? Möchte ich, dass die Anträge für verschiedene Sozialleistungen leicht und verständlich formuliert sind? Ich verorte hier keine böse Absicht. Jedoch setzten sich die Verfasser_innen dieser Texte nicht ausreichend selbstkritisch mit der Wirkung ihrer Sprache auseinander. Gesetzestexte werden in ein unverständliches Behördendeutsch transformiert, deren Resultate mehrseitige Anträge in lupenreinem Bürokratensprech sind. Abbild und Manifestation der historischen Ursprünge eines elitären Zirkels, der sich wichtiger nimmt, als er ist.
Genug der Darstellung von Barrieren! Im Letzten und Folgenden eine kleine Handlungsempfehlung für unseren alltäglichen, verbalen Sprachgebrauch anhand von drei Gedanken:
(1) Wer ist mein Gegenüber und wer kann meine Worte außerdem noch hören?
(2) Über welches Thema spreche ich? Verwende ich Begriffe, die ich anders oder einfacher ausdrücken kann?
(3) Sprechen Sie mit Menschen und nicht über sie! Stellen Sie damit Berührungspunkte her, um Abgrenzung zu überwinden und Vertrauen aufzubauen!
Ich möchte anregen und einladen, Worte durch geöffnete Fenster zu schicken, anstatt an undurchdringlichen Mauern abprallen zu lassen, denn wir wissen nie, wen sie erreichen!